Vor einem Monat lag noch kniehoch Schnee in Ramsau am Dachstein. Am Nachmittag, als ich ankam, donnerte eine Lawine ins Tal. In weiter Ferne stiegen winzige weiße Wolken auf, als hätte jemand den Staubzucker von einem Faschingskrapfen geblasen. Erst das gewaltige Donnern, das zeitverzögert bei mir ankam, rief mir die gewaltige Wucht dieser Schneemassen in Erinnerung.
Manche Leute erklären mir, dass sie an die Natur glaubten. An Mutter Erde, die alles in Balance hielte. Mütterlich kommt mir diese Natur nicht vor. Manchmal tobt sie aus heiterem Himmel wie ein launisches Geschwisterchen, das wütend beginnt, um sich zu schlagen. Einen Augenblick später, ohne den Anflug einer Entschuldigung, legt sie sich wieder zur Ruhe, streckt den Arm nach mir aus und lässt mich an ihrer Seelenruhe teilhaben.
Am Nachmittag hören wir die Propeller der Bergrettungs-Hubschrauber. Sie kreisen am strahlend blauen Himmel bis die Sonne untergeht.
Eines Tages wird das Geschwisterchen todmüde sein. Es wird die Sonne bei der Hand nehmen und gemeinsam werden sie sich zur Ruhe legen. An diesem Tag wird alles, das wir kennen, und alles, woran wir uns erinnern, zu Staub zerfallen.
Das Lied habe ich an einem freien Nachmittag in meiner Karenzzeit geschrieben. Es war der erste Song für mein kommendes Album. Der besungene Baum treibt gerade in meinem Garten aus. Den knochigen Rumba-Rhythmus haben Julian Pieber und ich mit Kuhhörnern von Marie Pfeiffers Bauernhof eingespielt. Es ist meine Hommage an den Opener des großartigen Tom Waits-Albums Bone Machine.
Die Hörner habe ich mit Pickups versehen: Jetzt besitzen sie einen Klinkenausgang und können durch die Verzerrer geschliffen werden. Gleich danach kommt ein rückwärts abgespieltes Becken: Der Auftritt des dunklen Magiers. Die verzerrte Slide-Gitarre ist wiederum beeinflusst von der Bridge des Gospels Ain't no Grave.
lyrics
I wü Spuren hinterlassen
Moch schware Tritt im Schnee
Pflonz an Bam in meim Garten
Und schau dass a wochst
Dass er gsund is und groß wird
Und mich überlebt
Der Bam wird foin
Die Mutter wird älter
Die Viecher werdn sterbn
Die Sunn wird koit
Unsa Kind wird sterbn
Und davor, hoff i, triffts mi
I bin traurig, so traurig, weil i nie an festen Boden findt
I bin traurig, so traurig, wei i ois verlieren werd
I bin traurig, so traurig, wei i an so vü glab, des ois nit gibt
I bin traurig, so traurig
Wonn er si oschleicht in da longen Nocht
Donn frog i eam: Sterbn, ko ma des lerna?
Er sogt: Na, neama z’ leben is koa Unglück und tuat nit weh
Do is nur Soiz in deine Augen, und Eitelkeit
Es gibt koan Trost
Seine Zähn leichtn
I bin traurig, so traurig, brauchst nit frogen warum
I bin traurig, so traurig, wei i d' Zeit nit aufhoiten ko
I bin traurig, so traurig, wei des wos zöht nit bleibt
I bin traurig, so traurig
Der Bam wird foin
Da Gletscher wird schmelzen
Jede Spur verwischen
Jede Erinnerung vageh
Jeder Schmerz aufhean
Jede Ongst vaschwinden
Ois löst si auf
I bin traurig, so traurig und wir wissen oi warum
I bin traurig, so traurig, weil i nie an festen Boden findt
I bin traurig, so traurig, wei des mei oanzige G'wissheit is
credits
from Ramsau am Dachstein nach der Apokalypse,
track released May 12, 2021
Musik und Text von Paul Plut / Drums und Percussion von Julian Pieber / Klavier von Nastasja Ronck / Produziert von Paul Plut und Julia Hager / Mix von Alexander Lausch / Master von Martin Scheer / Gefördert durch den Österreichischen Musikfonds
Ich habe "Vertigo Days" kurz nach Erscheinen ein mal gehört, gemocht und erst einmal leider vergessen. Heute beim Überfliegen meiner Notizen bin ich wieder daraufgestoßen und habe bemerkt, WIE gut das eigentlich ist.
Am schönsten finde ich das "Into Love"-Pattern zu Anfang und Ende. mr_modern_music